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Gleicher Lohn für alle?

Autor: Sarah Sommer / am

Die Reichen werden immer reicher, die Armen werden immer ärmer: Diese Klage hört man allenthalben. Aber: Stimmt das eigentlich? Wie ungleich sind Löhne in der Schweiz tatsächlich verteilt? Und: Wie viel Ungleichheit können wir uns leisten?

Lohnschere

172 Millionen Franken haben die CEOs der 39 grössten Schweizer Unternehmen im vergangenen Jahr verdient. Spitzenverdiener war UBS-Chef Sergio Ermotti mit 14,2 Millionen Franken. Damit sind die Top-Manager die Top-Verdiener im Land. Sie gehören zur Spitzengruppe unter den zehn Prozent der Schweizer Angestellten, die mehr verdienen als 11.400 Franken im Monat. Zum Vergleich: Der Medianlohn in der Schweiz liegt derzeit bei rund 6.500 Franken brutto monatlich. Die zehn Prozent der Angestellten mit den tiefsten Löhnen verdienen weniger als 4300 Franken im Monat. Eine halbe Million Menschen lebt von einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze von 2240 Franken monatlich.

Die Abzocker-Initiative wollte exorbitanten Manager-Gehältern eigentlich einen Riegel vorschieben – denn viele Menschen empfinden solche massiven Einkommensunterschiede als ungerecht. Die Reichen werden immer reicher, die Armen werden immer ärmer – das scheint vielen Menschen geradezu ein Naturgesetz zu sein. Ökonomen wie Thomas Piketty stützen diese Sicht der Dinge: Seine Studien und Berichte zur weltweiten Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen zeigen: Das reichste Hundertstel der Weltbevölkerung erhält einen Anteil von 20 Prozent der gesamten Einkommen und kann damit 27 Prozent des gesamten Einkommenswachstums seit 1980 für sich vereinnahmen. Diese steigende Ungleichheit bewerten viele Beobachter als ernstzunehmendes Risiko: Mehr Ungleichheit führe zu mehr Kriminalität und zu sozialen Spannungen, sie schwäche den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie, warnen Soziologen und Ökonomen.

Immerhin: In der Schweiz, vermelden Statistiker, scheint der verheerende Trend zu mehr Ungleichheit gestoppt. Die Lohnschere zwischen den Top-Verdienern und den Niedriglöhnern im Land schliesst sich seit einigen Jahren, wenn auch sehr langsam. Selbst Gewerkschaften wie die Unia kommen zu diesem Ergebnis: Die durchschnittliche Lohnschere zwischen dem höchsten und dem tiefsten Lohn in einer Firma betrug im Jahr 2017 einer Unia-Studie zu Folge 1 zu 143 – im Vorjahr war das Verhältnis noch 1 zu 164. Das Bundesamt für Statistik kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Der Abstand zwischen den Arbeitnehmern mit den niedrigsten und jenen mit den höchsten Löhnen sei zwischen dem Jahr 2008 und dem Jahr 2016 geschrumpft – sie liegen nicht mehr um den Faktor 2,7 auseinander, sondern nur noch um den Faktor 2,6. Und auch Avenir Suisse rechnet in einer aktuellen Studie vor: Im Schnitt gehe es jeder Schweizer Generation besser als derjenigen davor. Die unterste Einkommensschicht habe in den vergangenen Jahren prozentual sogar höhere Lohnzuwächse erzielt als Menschen mit höheren Einkommen. Die Ungleichheit im Lande nimmt also ab, konstatiert Avenir Suisse. Auch im internationalen Vergleich ist die Schweiz unter den Ländern, in denen die Lohn-Ungleichheit eher moderat ausfällt. Das klingt nach guten Nachrichten: Ist der Trend, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, gestoppt? Ist die Schweiz auf dem Weg zu mehr Einkommensgleichheit?
Ganz so einfach ist es nicht. Denn in den Einkommensvergleichen wird meist ein wichtiger Faktor ausgeklammert: Die Vermögenseinkommen. Bezieht man diese mit ein, wird klar: Die Löhne mögen sich angleichen, doch die Vermögen sind in der Schweiz so ungleich verteilt wie in nur wenigen anderen Ländern weltweit. Eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt: Das reichste Prozent der Menschen in der Schweiz besitzt 41 Prozent des Vermögens. Jenen, die weniger als 50'000 Franken besitzen, gehören nur 1,6 Prozent des Gesamtvermögens – obwohl mehr als jeder Zweite im Land zu dieser Gruppe gehört.

Die Weltbank warnt wegen solcher Ungleichheiten vor einer sozialen Zerreissprobe in Europa. Immer mehr Menschen würden gegen die ihrer Meinung nach ungerechte Verteilung von Einkommen und Lebenschancen aufbegehren, heisst es in einer aktuellen Studie. Die sozialen Spannungen nehmen zu, obwohl Europa, durch die Brille der Statistiker betrachtet, eine der Weltregionen mit der geringsten Ungleichheit ist. Gute Gründe für diese angespannte Grundstimmung sind in den Folgen der Finanzkrise zu finden: Der Global Wealth Report der Credit Suisse zeigt, dass bis zur Finanzkrise das Vermögenswachstum weltweit einem stabilen Aufwärtstrend folgte. Vermögen in Finanz- und Sachwerten und in nahezu allen Regionen legten zu. Alle gesellschaftlichen Schichten profitierten: Während das globale Durchschnittsvermögen pro Erwachsenem zwischen 2000 und 2007 jährlich um sieben Prozent stieg, schnitt die untere Hälfte der Vermögensbesitzer noch besser ab: Das mittlere Vermögen pro Erwachsenem erhöhte sich jährlich um zwölf Prozent, rechnen die Credit Suisse Volkswirte vor.

Die globale Finanzkrise setzte dieser Wachstumsphase 2007 ein Ende und vernichtete 12,6 Prozent des weltweiten Vermögens. Was danach passierte, wird von vielen Menschen als ungerecht empfunden: Kurz nach der Krise setzte das Vermögenswachstum wieder ein. Doch es war vor allem das oberste Prozent der weltweiten Vermögensbesitzer, das von diesem Wachstum profitierte und dadurch die Verluste der Finanzkrise schnell wieder wettmachen konnte. Der Credit Suisse Bericht geht davon aus, dass sich die Ungleichheit bei den Vermögen weiter verstärken wird: Während die Zahl der Millionäre bis 2022 um 22 Prozent von heute 36 Millionen auf 44 Millionen steigen dürfte, wird die Zahl der Menschen im untersten Segment der Vermögenspyramide wohl nur um vier Prozent schrumpfen.

Auch in der Schweiz gibt es solche als ungerecht empfundenen Entwicklungen: Die Vermögen wachsen stärker als die Einkommen. Hohe Vermögen würden von der Politik geschont, während steigende Krankenkassenprämien oder Mieten besonders die ärmeren Schichten träfen, bemängelt Robert Fluder, Dozent für soziale Arbeit an der Berner Fachhochschule.
Die Weltbank-Studie kommt zu dem Schluss, dass die sozialen Spannungen in Europa angesichts solcher Entwicklungen zunehmen werden. Hinzu kommen die Auswirkungen der Digitalisierung und einer nicht mehr zeitgemässen Sozialpolitik, warnen die Weltbank-Ökonomen: Insbesondere junge Menschen in Europa hätten heute oft befristete, schlecht bezahlte Jobs. Auch ein Fahrer für die Mobilitätsplattform Uber erhalte zwar ein Einkommen – aber meist nicht die soziale Absicherung, die ein traditioneller Vollzeitjob mit sich bringe. Gleichzeitig stiegen die Lebenshaltungskosten und die digitalisierte Arbeitswelt fordere immer höhere Qualifikationen. Die Studienautoren fordern daher eine universelle Grundsicherung für alle Beschäftigungsverhältnisse - und höhere Steuern und Abgaben für Kapitaleinkommen und Spitzenverdiener.
In der Schweiz sprach sich die Bevölkerung bislang stets gegen solche Massnahmen aus – die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer fiel bei Abstimmungen ebenso durch wie die 1:12-Initiative, die Mindestlohn-Einführung und das bedingungslose Grundeinkommen. Gewerkschafter vermuten, dass das auch daran liegen könnte, dass viele Menschen das tatsächliche Ausmass der Ungleichheit bei der Vermögensverteilung im Land unterschätzen.

Tatsächlich sehen viele Schweizer das Thema wohl einfach sehr pragmatisch: An der ungleichen Vermögensverteilung lässt es sich so leicht nicht rütteln. Da scheint es sinnvoller, zunächst eine gerechtere Verteilung der Löhne anzustreben, etwa gleiche und faire Löhne für Frauen und Männer durchzusetzen, gegen Diskriminierung vorzugehen und für mehr Lohntransparenz in den Unternehmen zu sorgen. Viele Menschen posten nun sogar freiwillig ihr Gehalt auf Plattformen wie zeigdeinenlohn.ch. Die Idee: Wer mehr Gleichheit und Gerechtigkeit will, muss erst mal eines der hierzulande grössten Tabus überwinden. Und lernen, überhaupt offen über Löhne und Einkommensunterschiede zu sprechen.

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